Wie wird man als gebürtiger Bayer und getaufter Katholik zum Leiter eines Zen-Meditationshauses?
Dr. Florian Seidl: Da muss ich weit zurückgehen: Mit acht Jahren habe ich mit japanischem Kampfsport angefangen. Mein damaliger Lehrer hat das Training von Anfang an mit Zen verbunden – und wenn es nur ein paar Minuten Meditation waren. Im Laufe der Zeit habe ich dann begonnen, mich selbst dafür zu interessieren. Mit 20 habe ich meinen ersten Kurs in Dietfurt gemacht und ich bin immer wieder zurückgekommen – mindestens einmal im Jahr. Irgendwann hat mich dann mein Zen-Lehrer und Vorgänger Othmar Franthal gefragt, ob ich Lust darauf hätte, ihm in der Funktion zu folgen. Das war aber erst 2021.
In der Zwischenzeit haben sie zum Beispiel Religionswissenschaften mit einem Schwerpunkt auf Buddhismus studiert – warum passt eine buddhistische Meditationspraxis zu einem Franziskanerkloster?
Dr. Florian Seidl: Das Selbstverständnis der Franziskaner passt zu Zen: Sie verstehen sich als Seelsorger für die Menschen am Rande der Kirche – und auch der Gesellschaft. Als sich also in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr Menschen vom Christentum abwendeten und ihr Glück in fernöstlicher Spiritualität suchten, war es nur logisch, dass sich die Franziskaner für sie verantwortlich fühlten.
Und wie passt das ganze nach Dietfurt?
Dr. Florian Seidl: Aus historischer Sicht kam das Meditationshaus vor allem deswegen nach Dietfurt, weil es hier Platz gab. Aber es ist schon bemerkenswert, dass die Stadt mit dem Chinesenfasching schon vorher eine gewisse Affinität für den Fernen Osten hatte.
Welche Stellung hat das Meditationshaus in Dietfurt?
Dr. Florian Seidl: Anfangs waren die Dietfurter ein bisschen skeptisch, mittlerweile haben sie aber eine heitere Zuneigung entwickelt – schließlich sind auch ein Teil unserer Mitarbeiter „Einheimische“, und sie kommen unter anderem hierher, um Zen zu üben.
Was ist das eigentlich – „Zen“?
Dr. Florian Seidl: Zen ist einerseits meditative Übung, aber auch innere Haltung. Es geht darum, ganz da zu sein, sich und die Welt als nicht getrennt zu erfahren. Zen ist jenseits von Philosophie und Dogmatik, es geht um die Erfahrung. Man kann über den Geschmack eines Pfirsichs lange diskutieren…oder einfach hineinbeißen und schmecken.
Was sind das für Menschen, die das Zen-Meditationshaus für einen Kurs besuchen?
Dr. Florian Seidl: Das ist ganz unterschiedlich. Viele sind auf einer spirituellen Suche, viele suchen Ruhe, um zu sich selbst zu kommen und einige haben das Gefühl, sie müssten etwas ändern in ihrem Leben. Auch die Gesundheit zählt zu den Gründen, gerade wenn es um Tai-Chi- oder Qigong-Kurse geht: Diese Praktiken sind nämlich nachweislich gut für die Gesundheit. Und die meisten kommen immer wieder – manche seit der Eröffnung des Meditationshauses 1977.
Und wie laufen diese Kurse ab?
Dr. Florian Seidl: Das kann man schwer verallgemeinern, weil es von Qigong über Tai-Chi bis zum sakralen Tanz ganz verschiedene Kurse sind. Gemeinsam haben sie, dass sie größtenteils von Montag bis Samstagabend dauern, schweigend stattfinden und mit Zen-Meditation in Verbindung stehen.
Was macht so ein Kurs mit den Teilnehmenden?
Dr. Florian Seidl: In der Regel gehen die Menschen berührt und verändert raus. Manche finden über die Kurse einen neuen Zugang zur Kirche und zur Spiritualität. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Nach dem Kurs fühlt man sich, als wären einem die Brillengläser geputzt worden – eine Zeit lang erfährt man das Leben in einer ganz neuen Frische.
Haben Sie einen Geheimtipp für Dietfurt-Besucher?
Dr. Florian Seidl: In meinen Pausen gehe ich gerne ins Café Bay Chi. Die haben einen hervorragenden Espresso. Außerdem finde ich, dass der Kreuzberg eine ganz außergewöhnliche Qualität hat: Die Sonne, der Weitblick, die Offenheit… Und für mich sind die Glocken der beiden Kirchen in Dietfurt etwas Besonderes. Bei einer Schweigewoche im Kloster sind sie oft das Einzige, was man zu hören bekommt.