Kommissar Mike Morgenstern baumelt an der Dachrinne der Spitalkirche, hoch über der Altmühl. Von links holpern die Einsatzwagen der Feuerwehr über das Residenzplatzpflaster. Die Menschentraube vor dem Westportal des Domes hat den besten Ausblick auf das dramatische Geschehen – auch wenn es sich nur in der Fantasie abspielt. Für das Finale seiner Krimi-Führung durch Eichstätt hat sich Richard Auer den spannungsgeladenen „Showdown“ seines ersten Romans „Vogelwild“ ausgesucht. Elegant bringt die Szene die Gruppe zurück zum Ausgangspunkt der Tour, in örtlicher ebenso wie in inhaltlicher Hinsicht.
„Die Stadt ist voll von Morgenstern-Szenen“, verrät der Autor. „Aber man muss buchstäblich die Kurve kriegen.“ Schließlich darf der Weg für die rund eineinhalbstündige Führung nicht zu lang werden. Seit Auer 2022 an der Ausbildung zum Gästeführer teilnahm, gehören neben Stadt- und Nachtwächter- auch die Krimi-Führungen zu seinem Repertoire. Letztere, die zu festen Terminen sowie als buchbares Angebot für Gruppen auf dem Programm stehen, sind etwas Besonderes. Schließlich verfügt längst nicht jede Kleinstadt über einen lokalen Krimi-Autor, dessen Bücher eine Auflage von bis zu 15.000 Exemplaren erreichen. Dass dieser auch noch Spaß daran hat, als Stadtführer in Aktion zu treten, ist ein echter Glücksfall. Besonders die Fans erscheinen zahlreich zu den Terminen. „Sie finden die Bücher sympathisch und möchten wissen, wer dahintersteckt", weiß der Autor. Wer die Krimis nicht kenne, habe aber ebenfalls Spaß an dem humorvollen Rundgang.
Skandal in der Bischofsstadt
Richard Auer scheint zum Stadtführer geboren. Wenn er über seine Wahlheimat spricht, gerät er gleich ins Schwärmen: „Eichstätt ist ein Traum, ein Idyll, eine entschleunigte Stadt, wie man sie sonst vielleicht aus dem Urlaub in Italien oder Frankreich kennt. Hier gehen die Uhren etwas anders und man kann darüber schmunzeln.“ Auch als Krimischauplatz sei Eichstätt ideal, findet der Autor: „Denn das Idyll macht ja immer das gleiche – es trügt.“ Und wenn hinter der beschaulichen Fassade ein Verbrechen geschieht, wird es spannend, das gilt auch bei der Führung. Dabei fängt es scheinbar harmlos an, sowohl im 2009 erschienen ersten Krimi als auch beim Rundgang: Mike Morgenstern, der Kommissar in Cowboystiefeln, erwischt in der nächtlich ruhigen Stadt Graffiti-Sprayer am Hauptportal des Doms. Am Ort des Geschehens zieht Richard Auer den Band aus seiner Umhängetasche und liest die Szene vor.
Was dem zugezogenen Großstädter Morgenstern halb so schlimm erscheint, ist in der „altehrwürdigen“ Bischofsstadt natürlich ein Skandal. Der große Einfluss der katholischen Kirche ist ein wiederkehrendes Thema der Krimis und ein Quell der Verwirrung für die Hauptfigur. „Er wundert sich oft und muss erstmal nachfragen. So nehme ich den außenstehenden Leser mit“, erklärt Auer. Er selbst ist alles andere als ein Außenstehender, schließlich kam er schon als Internatsschüler in die Stadt, machte seinen Abschluss in Diplom-Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und lebt heute mit seiner Frau und drei Söhnen mitten in der Altstadt. Darüber hinaus arbeitete er lange als Redakteur bei der Lokalzeitung, was sich beim Krimischreiben auszahlte. So kamen etwa bei „Reliquienraub“ seine im Rahmen der Pressearbeit erworbenen Kenntnisse über das Grab des Heiligen Willibalds zum Tragen. Die detailreiche und realitätsgetreue Beschreibung der Handlungsschauplätze ist ein Markenzeichen seiner Krimis. „Es ist immer klar nachvollziehbar, wo sich etwas ereignet", betont er. Das macht die Bücher zur idealen Grundlage für eine Stadtführung.
Überraschende Einblicke im Kreuzgang
Egal ob Fans oder Neugierige, aus der Gegend oder zu Gast – Auer hat für alle die eine oder andere Überraschung in petto. Der Kreuzgang des Doms, durch den er die Gruppe führt, sei zum Beispiel für viele Neuland. Und selbst Ortskundigen dürfte vorher kaum das Epitaph des Fürstbischofs Johann Christoph von Westerstetten aufgefallen sein, der sich im Zuge der Gegenreformation als „Hexenjäger“ hervortat. „Mit der Erinnerungskultur hat es hier lange gehapert“, befindet Auer. In seinem 2017 erschienen Roman „Altmühlhexen“, der natürlich auch in der Umhängetasche steckt, hat sich der Autor der Geschichte angenommen: Die Ruhestätte des mörderischen Bischofs wird darin mit Blut geschändet. „Plötzlich hat die eigentlich witzige Führung einen ganz anderen Tiefgang“, kommentiert der Autor und weist auf die Gedenktafel für die ermordeten Frauen hin, die inzwischen in Sichtweite des Bischofsgrabs angebracht wurde.
Doch es bleibt nicht lange ernst. Gleich vor der Tür liegt der Residenzplatz – und in der Residenz spielt sich eine amüsante Szene aus dem Krimi „Endstation Altmühltal“ ab, in dem Eichstätt zum Schauplatz von Filmdreharbeiten wird. Hier platzt Morgenstern mitten in die Dreharbeiten im prunkvollen Spiegelsaal und fängt sich eine Ohrfeige ein. Weiter geht es durch die Luitpoldstraße, wo der Kommissar schon mal im Café sitzt oder im Lokal gegenüber versumpft, zu einem Wirtshaus am Graben, dem Schauplatz einer weiteren Begegnung zwischen Mike Morgenstern und der Filmcrew. Doch nicht nur Begegnungen mit Mike Morgenstern warten an jeder Ecke, sondern auch Bekannte, die den Schriftsteller gut gelaunt grüßen. Auch das sei typisch Eichstätt, findet dieser: „Es ist wie bei einem Wimmelbild. Man trifft immer die gleichen Leute.“
Vom Urvogel bis zum Jurahaus
Am „Neuen Weg“ gibt es eine weitere Krimi-Kostprobe, diesmal passend zu den typischen Jurahäusern, die die Straße säumen. „Meine Themen sind typische Alleinstellungsmerkmale im Naturpark Altmühltal“, erklärt der Autor. Vom „Urvogel“ Archaeopteryx über den Limes bis hin zum „Altmühltaler Lamm“-Auftrieb hat er schon einiges abgedeckt. Was wohl als nächstes kommt? Nur rund eineinhalb Jahre müssen Fans von Mike Morgenstern in der Regel auf den nächsten Krimi warten. Zum Schreiben zieht sich Richard Auer gern in eine der Eichstätter Universitätsbibliotheken zurück, deren Architektur ihn begeistert: „Ich finde es fantastisch, wie es gelungen ist, die Barockarchitektur mit modernen Elementen ins 21. Jahrhundert zu holen.“ Die Rolle als Botschafter für die Stadt, die Gästeführer innehaben, hat Auer offenbar verinnerlicht – und er erfüllt sie gern: „Die Leute sollen spüren, dass ich gern hier lebe", betont er, um verschmitzt hinzuzufügen: „Es ist eine Stadt, in der auch ein Morgenstern Wurzeln schlagen kann.“